Würzburg (POW) Einen literarischen Spaziergang durch Prag hat Universitätsdozent Dr. Leoš Houska am Montagabend, 27. Mai, im Sankt Burkardushaus unternommen. Auf Einladung der Katholischen Akademie Domschule in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für deutsche Sprache, dem Kulturamt der Stadt Würzburg und der Ackermann-Gemeinde referierte der Prager Germanist über „Deutsche Traditionen in Prag“. Houska, dessen Forschungsschwerpunkt der deutsch-tschechische Kulturaustausch ist, zeigte im nahezu vollbesetzten Kardinal-Döpfner-Saal an Textbeispielen und Dias auf, wie sich deutsche, tschechische, österreichische und jüdische Kultur gegenseitig befruchtet haben. „Hier hat sich die Kraft dieser Kulturen gegenseitig verstärkt“, sagte Houska.
Um die Jahrhundertwende seien sieben Prozent der Prager Bevölkerung deutschsprachig gewesen, erläuterte der Germanist. Heute sei ihre Zahl auf unter 0,4 Prozent gesunken. Dennoch sei ihr Einfluss auf die tschechische Kultur enorm gewesen. In Prag wirkten unter anderem Franz Kafka, Rainer Maria Rilke, Franz Werfel, Egon Erwin Kisch und Max Brod. Das „Prager Tagblatt“ habe sich als eine der führenden anspruchsvollen Tageszeitungen im deutschen Sprachraum etabliert. Nach der Machtergreifung durch Hitler habe Prag als Durchgangsstation für deutsche Emigranten fungiert. So hätten hier etwa Bertolt Brecht, Oskar Maria Graf, Stefan Heym und Erwin Piscator gewirkt. Thomas Mann habe sogar die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft angenommen, so Houska. Vor dem Einmarsch der Deutschen mussten die Kulturträger, die meist jüdischer Religion waren, die Stadt verlassen. Nach dem zweiten Weltkrieg, der einen enormen Einschnitt in das Kulturleben bedeutet habe, seien lediglich Kisch und seine Mitarbeiterin Lenka Reinerová in die Stadt zurückgekehrt.
Das Miteinander der verschiedenen nationalen Kulturen zeige sich auch an der Architektur, erläuterte der Dozent. Anhand architektonischer Einflüsse der Neorennaissance, des Kubismus und der Wiener und Prager Sezession, einer Spielart des Jugendstils, zeigte er das Verschmelzen nationaler Kulturen auf. Heute betone man in Prag nicht mehr die Unterschiede zwischen deutscher und tschechischer Kultur, sondern das gemeinsame Wirken. Als bestes Beispiel finde sich in der Herrengasse das altehrwürdige Redaktionsgebäude des deutschsprachigen ehemaligen „Prager Tagblatts“ in trauter Nachbarschaft zum neu errichteten Alfons-Mucha-Museum, sagte Houska. Mucha, der durch seine Pariser Theaterplakate für die Schauspielerin Sarah Bernhardt bekannt geworden war, war der bedeutendste Jugendstilkünstler der Tschechoslowakei. Er malte ein Nationalepos der Slawen, entwarf die ersten Banknoten des neuen Staates sowie Möbel und Inneneinrichtungen – etwa für das Jugendstil-Café im Repräsentationshaus Obecní dum.
Als Beweis der Fortdauer gegenseitiger Befruchtung bezeichnete Houska die Tatsache, dass es bis heute tschechische Schriftsteller gebe, die ihre Werke in deutscher Sprache schrieben. Der in Deutschland bekannteste von ihnen sei Ota Filip, dessen Roman „Café Slavia“ in der gleichen anekdotischen Atmosphäre spiele wie Friedrich Torbergs „Tante Jolesch“. Zu Unrecht völlig unbekannt sei dagegen, so Houska, die große alte Dame der deutschen Literatur Prags, Lenka Reinerova. Die Trägerin des Schiller-Rings, die jüngst mit dem Tschechischen Staatspreis ausgezeichnet worden sei, harre ebenso wie andere deutsch schreibende Prager Autoren in Deutschland noch der Entdeckung.
(2202/0677)
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