Würzburg (POW) Die Ansprüche nach Harmonie sind zu keiner Zeit des Jahres so hoch wie zu Weihnachten. Genau an diesen Tagen aber fliegen in vielen Familien so richtig die Fetzen. „Konfliktfreies Weihnachten ist eine Illusion“, meinen Thomas Ziegler und Heinz Rüschstroer von der Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen (EFL) einhellig. Sie geben Ratschläge, wie Familien vorbeugen können, damit die „Stille Zeit“ ihren Namen auch verdient.
Der Kern der Streitereien liegt im „Erwartungssalat“, wie Ziegler es nennt. Das A und O eines friedlichen Festes seien durchdachte Absprachen und langfristige Planung. „Viele packen ihre gesamte Jahres-Harmonie in dieses Fest und wundern sich, wenn sie scheitern“, sagt Rüschstroer. In vielen Familien gehe man sich übers Jahr aus dem Weg oder verteile die Besuche. „Nur am Jahresende wollen alle aufeinander hocken.“ Die Therapeuten schlagen vor, Stippvisiten nicht auf die Feiertage zu legen, sondern sie generell übers Jahr zu verteilen.
Die Berater sehen zwei Gefahren, die das Fest schnell verderben könnten. Oft investieren Familien zu viele Emotionen. Bereits beim kleinsten Kratzer an der Vorstellung von der heilen Welt sähen die Menschen Weihnachten als zerstört an. Die Stimmung drohe zu kippen. Andererseits ließen viele Familien einfach alles auf sich zukommen. „Die Leute wundern sich aber, wenn die Festtagsstimmung wie von einer Lawine erdrückt wird“, berichtet Ziegler.
Vermeintliche Traditionen stecken hinter so manchem Stressauslöser. „Das war schon immer so“, sei ein vielgehörter Satz. Die EFL-Berater empfehlen, an Etiketten nicht zwanghaft festzuhalten. „Wir empfehlen, Traditionen zu überprüfen, ob sie nicht nur eine Hülle sind“, sagt Ziegler. Faktoren können das zu aufwändige Weihnachtsmenü sein, die üppigen Geschenke oder der gewohnte Kirchgang, den die Kinder plötzlich verweigern. Nach Meinung der Therapeuten ist das Gespräch miteinander wichtig. „Wenn ich allerdings das ganze Jahr hindurch nicht miteinander rede, kann ich es Weihnachten vermutlich auch nicht“, schränkt er ein. Rüschstroer appelliert an Eltern, nichts über die Köpfe ihrer Söhne und Töchter hinweg zu entscheiden, sondern am runden Tisch.
Für unabdingbar hält der Psychologe Ziegler kleine Auszeiten für jedes Familienmitglied. „Wer sich selbst Zeit und Ruhe gönnt, geht leichter wieder auf den Anderen zu“, weiß Ziegler. Um zu entspannen, lese er, höre Musik oder gehe spazieren. Er schlägt „ein gutes Maß zwischen Eigen- und Familien-Aktivität“ vor. Er nennt seine Weihnachts-Freizeit „Sicherheitsabstand und Erholung von der Familie“.
Ganz eigene Erwartungen hätten nach Aussage der Familienberater die Frauen und Mütter. Vor allem in deren Köpfen existiere eine fixe Vorstellung vom perfekten Fest. „Wenn es nicht exakt so ist, dann ist Weihnachten dahin“, beschreibt Ziegler das meist weibliche Denken. Fatal sei, alles alleine machen zu wollen, da es vermeintlich schneller gehe. „Die Frau, die ihren Partner oder die Kinder mit zum Arbeiten einteilt, stärkt nicht nur das familiäre Wir-Gefühl. Sie festigt zugleich die Beziehungen untereinander und entlastet sich selbst“, erklärt Rüschstroer.
Ist trotz bester Absichten an Weihnachten die Stimmung eskaliert, so mahnen die Konfliktexperten zum Abstand. Oberstes Gebot sei, Ruhe zu bewahren und nicht noch Öl ins Feuer zu gießen. „Nicht jeder Konflikt muss bis zum Ende ausdiskutiert werden“, erläutert Ziegler. Ein Sicherheitsabstand helfe meist, um den Kopf wieder klarer und das Verhalten wieder unter Kontrolle zu bekommen. Bei strittigen Themen sollte grundsätzlich ein Stillhalteabkommen geschlossen werden, sonst sei Zwist vorprogrammiert.
Für unablässlich halten Ziegler und Rüschstroer Wege der Versöhnung. „Nur wer bereit ist, das eine oder andere Kriegsbeil zu begraben, bei dem erfüllt sich Weihnachten in seinem ursprünglichen Sinn. Unter der Geburt Gottes im Menschen verstehe ich, dass etwas im Menschen frei wird, wenn es mit Liebe, Frieden und Versöhnung zu tun hat“, sagt Ziegler.
Im Notfall können sich Familien während der Feiertage an Telefonseelsorge, Krisendienst oder EFL wenden.
(5002/1608)
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